Mein Hanami-Erlebnis (+Video)
Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass mir Anika erlaubt, hier einen Gastbeitrag zu schreiben. Denn „Grüner Daumen“ und meine Wenigkeit schließen sich gegenseitig aus.
Zimmerpflanzen beginnen zu welken, wenn ich den Raum betrete, noch nie hat eine Büropflanze länger als ein paar Wochen bei mir überlebt.
Unser Vorgarten wird zur Linken von Pilzen und zur Rechten von Pusteblumen überwuchert. Im Garten hinter dem Haus, direkt am Waldrand, ist es zu schattig für den erträumten „englischen Rasen“, allen Spezialsamen aus dem Baumarkt zum Trotz.
Bambus-Hacken
Mein einziges Erfolgserlebnis in Sachen Gärtnerei: Wenn ich mal wieder einen der schiffstaudicken Wurzelstränge aufspüre, der eine Horde feindseliger Bambusgewächse ernährt. Dann grabe und hacke ich mit dem Spaten, ziehe eine tiefe Ackerfurche quer durch den Garten, bis ich triumphiere. Zwei Wochen später lachen mich ein Dutzend neuer Bambustriebe aus.
Immerhin hatten wir bis 2017 eine Japanische Kirsche im Garten, direkt neben der Terrasse. Sie war vom Vormieter vielleicht aus ähnlichen tiefgreifenden Überlegungen angeschafft worden wie von manchen Zeitgenossen Welpen: Och, wie süß! Wie, die wachsen noch?
Schön anzusehen war das Gewächs auch in den letzten Jahren noch, nur war aus einem einst fragilen Ziergewächs ein sechs Meter hoher Baum geworden. Unten schoben seine Wurzeln die Terrassenplatten auseinander, oben zerrten die Äste geräuschvoll an der Dachrinne.
Als ich unseren Vermieter darauf hinwies, ließ er den ganzen Baum fällen und den Stumpf ausgraben. Ich fühle mich schuldig. Jetzt steht dort ein Sonnenschirm.
Vom Spieleredakteur zum Dokufilmer
Aber ich schweife ab, denn eigentlich wollte ich von meiner Japanliebe und meinem ersten authentischen Sakura-Erlebnis schreiben.
Ich bin Computerspiele-Journalist und deshalb seit etwa 15 Jahren immer wieder in Japan unterwegs, zumeist in Tokio. Mich fasziniert an dem Land vor allem das Nebeneinander von Topmoderne und Steinzeitlichkeit – Stichwort „Wozu Isolierfenster?“.
Wolkenkratzer, die um einen alten Tempel herum gebaut sind. Menschenmassen, die sich gesittet durch die Straßen und Bahnhöfe schieben. Seltsame Jugendkultur-Auswüchse auf der einen Seite und jahrtausendealte Gebräuche auf der anderen.
Irgendwann habe ich gemerkt, dass meine Nebenbei-Fotogeschichten aus Japan unsere User (hauptberuflich mache ich die Spiele-Website GamersGlobal.de) mehr interessierten als die Tokyo Game Show. Aus den Fotoreportagen wurden seit 2015 Videodokus, mit steigendem Aufwand.
Hanami 2018
Dieses Jahr wollte ich das Angenehme mit dem Nützlichen verbinden und endlich mal zur Kirschblüte nach Japan reisen, natürlich mit der Kamera im Gepäck.
Durch die regelmäßigen Besuche und die ausgiebige Nutzung ausgewählter Blogs habe ich typische Klischees („Alle Japaner sind höflich“, „Japanisches Essen ist gesund“) mittlerweile hinter mir gelassen, den staunenden Touri-Blick aber behalten. Und mit diesem lief ich dann Ende März, Anfang April durch Tokio und Umgebung.
Und ich muss sagen: Die Sakura-Blüte hat mich voll erwischt! Nicht bei den großen Hanami-Happenings, etwa im Ueno-Park. Die fand ich eher abschreckend: den Boden sieht man vor lauter Plastikplanen nicht mehr, und Myriaden von Menschen ergötzen sich maximal tertiär am Blütenmeer über ihnen, aber sekundär an den mitgebrachten Fressalien. Und primär? Na ratet mal. Nichts gegen geselliges Besaufen, aber ich gehe auch hier in München nur aufs Oktoberfest, wenn man mich zwingt. Die Unterschiede zwischen der Theresienwiese Ende September und dem Ueno-Park Anfang April scheinen mir eher marginal zu sein. Der Anteil von Einheimischen und Touristen ist ebenfalls vergleichbar.
Was ich hingegen toll fand: die Allgegenwärtigkeit der Sakura. Einerseits in den Kaufhäusern und Bahnhöfen, auch wenn sich mir nicht jedes Kirschgeschmack-Angebot von Starbucks und McDonalds erschließt – oder wieso man gefrorene Teigtäschchen mit Sakura-Bedruck vermarktet. Aber dieser saisonale Konsum-Hype ist einfach lustig und, so glaube ich, auch typisch japanisch. Und dann gibt es natürlich die vielen, vielen blühenden Bäume in den Straßen, den Parks, auf den Plätzen.
Da finde ich mitten in Tokio fast schon einsame Stellen fürs „Hanami“, etwa in einem kleinen Park direkt neben dem Japanischen Parlament. Eine Straße, irgendwo in Nihonbashi, die durch die Kirschblütenbäume auf beiden Seiten zum Tunnel geworden ist. Ich beobachte überall emsige Office Ladies und Sararimen, wie sie stehenbleiben und ihr Smartphone zücken.
Ich bin also mehrere Tage durch Tokio gewandert und habe im Wesentlichen Kirschbäume begafft. Dabei habe ich immer wieder die Kamera gezückt, mal am Morgen, mal bei Nacht, mal mit Zeitlupe, mal in Großaufnahme. Danach war ich noch in Yokohama und Osaka, um einige Stadt-Dokus zu machen– doch auch hier sprang mich quasi überall die weiße, nur ganz schwach rosafarbene Blütenpracht an, etwa um Burg Osaka herum.
Übrigens hatte ich Riesenglück: Ich hatte den Flug aus Kosten- und Gelegenheitsgründen (Osterferien in Bayern) eigentlich gut eine Woche zu früh für die normale Sakura-Saison in Kanto/Kansei gebucht. Doch ausgerechnet in diesem Jahr war die Kirschblüte in Japan ein bis zwei Wochen früher dran als sonst, sodass ich die Hanami-Hochphase miterleben konnte. Also diese kurze Zeit von einer guten Woche, die zwischen den noch grünlichen Blüten und jenen leicht rosafarbenen liegt, die beim leisesten Windhauch ihr kurzes Dasein graziös beenden.
Über das Sakura-Video
Zurück in Deutschland habe ich versucht, die Stimmung der Kirschblütenzeit in einer Reisedoku einzufangen. Das Ergebnis ist das hier eingeklebte Video „Japan zur Kirschblütenzeit“. Auch wenn Anika bezweifelt, dass die Japanische Kirsche der meistgepflanzte Laubbaum in Japan ist, wie ich darin behaupte. Und vielleicht sollte ich besser nicht mehr versuchen, botanische Namen auszusprechen…
Das Video ist eines von 16 Japan-Dokus, die ich dieses Jahr per Crowdfunding finanzieren konnte; fünf sind bereits fertig. Wenn ihr das Video in besserer Qualität (also höherer Auflösung bis zu 4K) sehen oder euch über die restlichen Folgen informieren wollt, könnt ihr ja mal auf www.japandoku.de vorbeischauen. Das Crowdfunding läuft noch bis 16.9.2018; für 5 Euro bekommt ihr ein paar Videos sofort und den Rest ab Anfang 2019 zu sehen. Und jetzt viel Spaß beim Ansehen!
youtube
Vielen Dank fuer den tollen Gastbeitrag!
Es hat mir viel Spass gemacht ihn zu lesen, vor allem weil ich langsam den staunenden Touri-Blick verliere…
Und ich bin mir sicher, meine Leser haben ebenso viel Spass dabei 🙂
Ich meinte doch nur, dass niemand mehr Kirschen in seine Privatgaerten in Tokio pflanzt >.< Als Strassenbaum ist das durchaus moeglich ^_-
Und pssst… bei mir sterben die Zimmerpflanzen auch reihenweise (mein Tipp: Efeutute, Monstera) und diesen Sommer haben auch viele meiner Pflanzen auf dem Suedbalkon leider nicht ueberlebt 🙁
Und auch wenn es mit dem englischen Rasen nicht klappt, Moos waechst da sicher! Damit kannst du dir wieder etwas Japan in den Garten holen ^_-